Bei der zahnärztlichen Früherkennungsuntersuchung handelt es sich um ein Leistungsangebot der gesetzlichen Krankenkassen für Kinder zwischen dem 30. und 72. Lebensmonat. Es zielt darauf ab, Erkrankungen und Entwicklungsstörungen im Zahn-, Mund- und Kieferbereich frühzeitig zu erkennen und darüber hinaus das Bewusstsein für Zahnpflege und zahngesunde Ernährung bei Eltern und Kind zu entwickeln.
Für ein zahngesundes Leben ist von entscheidender Bedeutung, dass Zahnpflege vom ersten durchbrechenden Milchzahn an tagtäglich betrieben wird und dadurch frühzeitig eine Ritualisierung erfährt.
Die beste Zahnpflege kann ihre Wirkung jedoch nur unzureichend entfalten, wenn falsches Ernährungsverhalten mit häufigem Zuckerkonsum die Keimzahlen kariogener (Karies verursachender) Bakterien ansteigen lässt oder regelmäßig in Nahrungsmitteln bzw. Getränken enthaltene Säure auf die Zähne einwirkt.
Hier gilt es, den Eltern und anderen Pflegepersonen frühzeitig beratend zur Seite zu stehen und Defizite in der Mundhygiene und im Ernährungsverhalten ins Bewusstsein zu rufen, an die sie selbst sich unter Umständen ein Leben lang gewöhnt haben.
Angst vor dem Zahnarztbesuch kann ein Kind nur dann entwickeln, wenn es selbst schlechte Erfahrungen macht – oder aber, wenn es die Angst, unter der Bezugspersonen im häuslichen Umfeld leiden, vermittelt bekommt. Durch die frühzeitige Gewöhnung an regelmäßige Zahnarztbesuche, die spielerisch ablaufen und nicht an die Beseitigung bereits vorhandener Zahnschmerzen geknüpft sind, sollen gute eigene Erfahrungen vermittelt und der Zahnarztbesuch dadurch positiv belegt werden.
Ziele der FU sind demnach:
- Frühzeitiges Erfassen von Erkrankungen und Fehlentwicklungen im Zahn-, Mund- und Kieferbereich
- Erfassen und Senken des Kariesrisikos
- Gewöhnung des Kindes an zahnärztliche Routineuntersuchungen
- Entwickeln des Bewusstseins bei Eltern und Kind, dass und wie Zahnpflege erfolgen muss
- Beratung der Eltern über zahngesunde Ernährung
- Entwickeln des Ernährungsbewusstseins beim Kind
Das Verfahren
Die zahnärztlichen Früherkennungsuntersuchungen kommen Kindern im Alter von 30 bis 72 Monaten zugute. In diesem Zeitraum können im Abstand von mindestens 12 Monaten maximal 3 FU-Termine wahrgenommen werden.
Folgende Aspekte werden bei einer Früherkennungsuntersuchung berücksichtigt:
I. Eingehende Untersuchung
- Familienanamnese – genetische Dispositionen, z. B. für Parodontalerkrankung u. v. a.
- Anamnese des Kindes – Systemerkrankungen, bereits erfolgte Behandlungen, Beschwerdebild u. a.
- Extraoraler Befund – Asymmetrien, Schwellungen, Gesichtsprofil, Muskeltonus der Lippenmuskulatur u. a.
- Intraoraler Befund – Zahndurchbruch, Fehlstellungen der Kiefer und der Zähne, Karies, Befund von Gingiva und Mucosa (Zahnfleisch und Mundschleimhaut), Mundhygiene, Habits (schädigende Angewohnheiten) u. a.
- Sprache – Hinweise auf Dyskinesien (muskuläre Fehlfunktionen), Ankyloglossie (kongenitale (angeborene) Entwicklungsstörung der Zunge, bei der die Zungenspitze durch ein zu straffes und zu weit nach vorne reichendes („angewachsenes“) Zungenbändchen (Frenulum linguae) am Mundboden fixiert ist) u. a.
- Atmung – Mund- oder Nasenatmung u. a.
- Ernährungsanamnese – wird erhoben bei erhöhtem Kariesrisiko
Mit der Untersuchung werden Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten sowie Fehlentwicklungen verschiedenster Genese (Ursprungs) erfasst, die die Zahn- und Kieferentwicklung negativ beeinflussen könnten.
Hierzu zählen auch Habits (schädigende Angewohnheiten) bzw. Dyskinesien (muskuläre Fehlfunktionen) wie z. B. Lippensaugen oder -pressen, Daumenlutschen, habituelle (gewohnheitsbedingte) Mundatmung oder Sigmatismus (umschriebene Entwicklungsstörungen beim Sprechen), um nur einige zu nennen.
Auch Beruhigungssauger wirken aktiv und negativ auf die Entwicklung des Ober- und Unterkiefers und müssen deshalb thematisiert werden.
Entsprechende Befunde machen unter Umständen die Zusammenarbeit mit anderen Fachbereichen erforderlich. So können Dyskinesien positiv durch eine logopädische Therapie positiv beeinflusst werden. Mundatmung auf Grund einer organischen Ursache kann die Vorstellung beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt erforderlich machen. In ausgewählten Fällen ist eine kieferorthopädische Frühbehandlung sinnvoll.
II. Einschätzung des Kariesrisikos
Zur Kariesrisikobestimmung wird im Rahmen der FU der dmft-Index (Kariesindex) erhoben: Definitionsgemäß werden die Kinder in verschiedene Altersgruppen unterteilt. Als Hochrisikogruppe gelten die jeweils 20 % mit dem höchsten Kariesbefall.
III. Ernährungsberatung
Ist das Kariesrisiko erhöht, wird sich also zwangsläufig eine Ernährungsberatung anschließen müssen. Ziel ist, die Frequenz (Häufigkeit) der zuckerhaltigen Mahlzeiten und säurehaltigen Getränke zu reduzieren, die dem Kind über den Tag verteilt oder gar in der Nacht angeboten werden. Dadurch erreicht man ein Absenken der Keimzahl an kariesaktiven Bakterien und verlängert die Remineralisationsphasen (Erholungsphasen für die Zahnsubstanz, in der Mineralstoffe wiedereingelagert werden):
III.1. Karies durch Zucker
Ob weißer Haushaltszucker (Kristallzucker; Saccharose), brauner Rohrzucker, Honig, Fructose (Fruchtzucker) oder Glucose (Traubenzucker) – kariogene Bakterien verstoffwechseln alle gleichermaßen. Zahnschädigend wirken sich dabei letztlich Säuren aus, die als bakterielles Stoffwechselprodukt im Biofilm (bakterieller Belag, Plaque) entstehen, der den Zähnen bei unzureichender Mundhygiene anhaftet. Säuren demineralisieren (entkalken, erweichen) die Zahnsubstanz.
Wenn sie über den Tag verteilt in kurzen Abständen einwirken, kann sich die Zahnsubstanz nicht erholen. Mittelfristig ist eine kariöse Läsion die Folge. Karies wird bevorzugt dort entstehen, wo der Biofilm bei schlechter Zahnputztechnik besonders wenig gestört wird und sich somit gut halten kann – also im Relief der Kauflächen, in Zahnzwischenräumen und entlang des Zahnfleischrandes.
Etliche Nahrungsmittel werben mit dem Begriff "zuckerfrei". Als "Zucker" wird lebensmittelrechtlich jedoch nur Saccharose bezeichnet, was bedeutet: Glucose und Fructose können in dem Produkt enthalten sein. Wirklich zahnfreundlich sind nur Leckereien, die das Gütesiegel "Zahnmännchen" tragen, einen lächelnden weißen Zahn mit Schirm.
- Möglichst wenige zuckerhaltige Zwischenmahlzeiten – auch ein süßes Getränk ist eine Zwischenmahlzeit!
- Kein Zucker aus der Nuckelflasche – nur Wasser und ungesüßten Kräutertee (keine Instant-Produkte) zum Durststillen anbieten
- Zahnfreundlich sind nur Produkte mit dem "Zahnmännchen"
- Auf versteckte Zucker auch in vermeintlich gesunden Nahrungsmitteln achten (Müsliriegel, Trockenfrüchte u. v. a.)
III.2. Erosion durch Säuren
Mit der Reduktion zuckerhaltiger Mahlzeiten soll die Säureproduktion durch kariogene Bakterien gedrosselt werden. Die Säureeinwirkung auf die Zähne setzt hierbei etwas zeitversetzt ein. Mit Softdrinks, Obstsäften – auch in Form von mit Wasser verdünnten Schorlen – werden die Zähne jedoch unmittelbar von Säure umspült.
Erhält ein Kind über den Tag verteilt immer wieder kleine Schlucke Obstsaft, sei er nun verdünnt oder nicht, aus der Nuckelflasche, so werden die Zähne kontinuierlich demineralisiert (entkalkt). Eine Säureerosion ist die Folge – ein Substanzabtrag an den Zähnen, der nicht durch Karies bedingt ist.
- Obstsaft im Glas anbieten als zeitlich begrenzte Zwischenmahlzeit, nicht zur Selbstversorgung des Kindes aus der allzeit bereiten Nuckelflasche!
- nach Säureeinwirkung 30 Minuten mit dem Zähneputzen warten – so lange braucht die Zahnsubstanz mindestens, um sich durch Remineralisierung (Einlagern von Mineralstoffen aus dem Speichel) so weit zu erholen, dass sie nicht von der Zahnbürste oberflächlich abgetragen wird
- auch hier auf das "Zahnmännchen" achten – denn entsprechende Lebensmittel und Getränke haben weder kariogenes noch erosives Potential
- auf versteckte Säuren achten
IV. Mundhygieneberatung
IV.1. Auswahl der richtigen Zahnpasta
Für Kinder unter sechs Jahren gilt die Empfehlung, eine spezielle Kinderzahnpasta mit einem Fluoridgehalt von 500 ppm (parts per million, 0,05 %) zu verwenden. Fluoride wirken über verschiedene im Mundmilieu ablaufende Mechanismen Karies hemmend und sind daher das wichtigste Standbein der Kariesprophylaxe (Vorbeugung gegen Zahnfäule). Mit der niedrigen Dosierung wird man der höheren Wahrscheinlichkeit gerecht, mit der kleine Kinder Zahnpastareste hinunterschlucken, anstatt sie auszuspucken.
In den ersten zwei Lebensjahren wird täglich einmal mit einer kleinerbsengroßen Menge Zahnpasta geputzt, nach dem zweiten Geburtstag zweimal täglich.
IV.2. Zahnputztechniken
Die Zahnpflege ab dem ersten Zahn hat eine grundlegende Bedeutung. Kleinkindern werden das Zähneputzen und der richtige Zeitpunkt als tägliches Ritual durch die Eltern vermittelt. Im Alter von zwei bis drei Jahren fangen sie an, die Systematik der Putztechnik zunehmend selbst zu erlernen.
Alle Versuche des Kindes, selbstständig zu putzen, sollten hierbei lobend unterstützt werden. Vollkommen selbstständig putzen, ohne dass durch die Eltern systematisch und täglich nachgeputzt wird, können sie jedoch erst mit dem Beherrschen der Schreibschrift, also viel später, als Eltern bisweilen annehmen.
IV.3. Hilfsmittel zur täglichen Mundhygiene
Zahnseide dient der Reinigung der Interdentalräume (Zahnzwischenräume) und wird auch für das Kindesalter empfohlen. Zur leichteren Handhabung bietet der Handel sie auch auf kleine Träger aufgezogen an (z. B. Oral B Flossette®). Tiermotiven nachempfundene farbenfrohe Handgriffe erhöhen die Akzeptanz.
V. Kariesprophylaxe mit Fluoriden
Die angemessene Anwendung von Fluoriden zum Kariesschutz in einer altersabhängigen Dosierung zwischen 0,25 mg und 1 mg täglich gilt heute wissenschaftlich als wirksam und absolut unbedenklich. Wie jeder Wirkstoff kann jedoch auch Fluorid bei einer Überdosierung schädlich sein. Vor einer Empfehlung von Fluoriden steht deshalb zunächst die Fluoridanamnese, d. h. die Erfassung aller Fluoridquellen, durch die das Kind mit Fluorid versorgt wird. Hierzu zählen:
- Trinkwasser
- regelmäßig konsumiertes Mineralwasser
- fluoridiertes Kochsalz
- Diätnahrung
- Meeresfische
- Fluoridtabletten
Bei konsequenter Fluoridanamnese kann eine Überdosierung ausgeschlossen werden.
Für Kinder bis sechs Jahren gilt als Basisprophylaxe mit Fluoriden:
- die Verwendung einer Kinderzahnpasta mit einem Fluoridgehalt von 500 ppm (s. o.)
- in Verbindung mit fluoridiertem Kochsalz.
- Weitere Fluoridgaben sind im Regelfall ohne das Vorliegen eines erhöhten Kariesrisikos nicht nötig.
Bei erhöhtem Kariesrisiko kann zusätzlich im Rahmen der zahnärztlichen Kontrolltermine eine professionelle Applikation von Fluorid erfolgen.